Attisch-rotfigurige Malerei (Teil 12)

Theseus und der Minotauros. Attischer rotfiguriger Teller, 520-510 v. Chr. (Louvre G 67)

Zum Abschluss meiner Reihe über rotfigurige Vasenmalerei möchte ich noch auf mythologische Themen eingehen.

Mythos wurde ursprünglich als Geschichte angesehen. Für die antiken Griechen war Mythos nur aus der Gegenwart her zu verstehen. Einerseits war der Inhalt der Mythen relativ statisch, andererseits wurden sie immer wieder neu erklärt und erzählt. Meist identifizierte man sich nur mit Teilen der Mythen. So bezog sich Alexander der Große beispielsweise auf Herakles, Achill und andere Heroen.

Seit dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr. kam es zu einer Ausweitung der Sagen um Theseus, eines der legendären Könige von Athen. Im neuen demokratischen Staatswesen stand Theseus für die Stadt Athen in ihrer Gesamtheit. Zunächst wurden vor allem seine Jugendtaten auf seinem Weg nach Athen dargestellt. Seit ca. 510 v. Chr. gibt es allerdings auch Gefäße mit der Darstellung des kompletten Theseus-Zyklus. Zu den bekanntesten Erzählungen aus dem Leben des Theseus gehört sicher sein Kampf gegen den Minotaurus, dem Mischwesen aus Stier und Mensch im Labyrinth auf Kreta (sieh Bild oben).

Eine weitere Episode der Theseus-Sage führt uns dagegen zu einem anderen mythischen Thema, das häufig auf Gefäßen dargestellt wurde: die Amazonomachie, die Kämpfe zwischen Athen und den Amazonen. Zunächst zeigten die Darstellungen die Athener als Aggressoren, z. B. die Entführung der Antiope durch Theseus.

Als Athen 490/480 v. Chr. durch die Perser eingenommen wurde, verschob sich jedoch der Schwerpunkt der Darstellungen zu den Rachezügen der Amazonen gegen Athen nach dem Raub der Schwester ihrer Königin. Im Mittelpunkt stand also jetzt der Abwehrkampf der Athener und der Kampf gegen die Amazonen galt als Vorläufer der Auseinandersetzungen der Griechen mit Nicht-Griechen allgemein bzw. den Persern im Besonderen.

An den Kämpfen gegen die Amazonen war auch Herakles beteiligt. In archaischer Zeit zeigte man sowohl seine physische Kraft als auch sein musisches Talent in der Kunst. Später, Ende des 4. Jh., wurde der musische Aspekt dagegen nicht mehr betont.

Weitere Mythen, die auf die Perserkriege bezogen wurden bzw. durch diese Auseinandersetzungen eine Bedeutungsverschiebung erfuhren, die sich in der Vasenmalerei widerspiegelt, sind die Entführung der Oreithyia, Tochter des Erechtheus, eines mythischen athenischen Königs, durch den Nordwind Boreas in seine Heimat Thrakien sowie Orpheus, der von thrakischen Frauen erschlagen wurde.

 

Hiermit endet meine Reihe über die rotfigurige Vasenmalerei. Zum Abschluss möchte ich noch auf einige Bücher zur Vertiefung des Themas hinweisen, die trotz ihres Alters immer noch Standardwerke sind:

  • John D. Beazley, Attic red-figure vase-painters. 3 Bände. 2nd edition. Clarendon Press, Oxford 1963
  • John Boardman, Rotfigurige Vasen aus Athen. Ein Handbuch. Die archaische Zeit (= Kulturgeschichte der Antiken Welt. Bd. 4). von Zabern, Mainz 1981 (4. Auflage. ebenda 1994)
  • John Boardman, Rotfigurige Vasen aus Athen. Ein Handbuch. Die klassische Zeit (= Kulturgeschichte der Antiken Welt. Bd. 48). von Zabern, Mainz 1991 (2. Auflage. ebenda 1996)
  • Ingeborg Scheibler, Griechische Töpferkunst. Herstellung, Handel und Gebrauch der antiken Tongefäße. 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Beck, München 1995
  • Erika Simon, Die griechischen Vasen. Aufnahmen von Max Hirmer und Albert Hirmer. 2., durchgesehene Auflage. Hirmer, München 1981

Attisch-rotfigurige Malerei (Teil 11)

Seit der Mitte des 5. Jh. v. Chr. bildete sich der Themenbereich Familie, Hochzeit und Ehe als neuer gesellschaftlicher Schwerpunkt heraus.

Seit dem 5. Jh. v. Chr. erfuhr die Stellung der Frau in der griechischen Gesellschaft offenbar eine Aufwertung. Sie spielte eine wichtige Rolle bei der Verwaltung und Sicherung des Haushalts, des Hausstands und der legitimen Nachkommenschaft. Trotzdem war sie keine Rechtsperson und sie hatte auch nicht die vollen Bürgerrechte. Bei Eheschließungen hatte sie wohl auch nur wenig Mitspracherecht. Sie wurde von ihrem Vater verheiratet, der auch den Ehevertrag und die Mitgift aushandelte.

In der geometrischen Vasenmalerei finden wir Darstellungen von Frauen bei der Prothesis, d. h. der Aufbahrung der Toten, wo Klagefrauen wichtiger Teil des Bestattungskults waren. Auch für Frauen gab es durchaus reich ausgestattete Gräber. Es gab zwar wenige Denkmäler für Frauen im Grabbereich, die vorhandenen sind aber teilweise von hoher Qualität. Zu solchen Grabmälern gehören beispielsweise die sogenannten Koren, Mädchenstatuen (Beispiel Phrasikleia).

Darstellungen von Frauen im häuslichen Bereich sind eher selten. Viele Hydrien, Gefäße, mit denen man Wasser holte, zeigen Frauen, die an einem Brunnen Wasser holen. Unklar ist, ob es sich hier tatsächlich um einen Vorgang aus dem Alltag handelt. Alternativ wurde beispielsweise eine Deutung als kultische Handlung aus dem Totenkult vorgeschlagen. Szenen, die in jedem Fall aus dem häuslichen Bereich stammen, sind dagegen das Spinnen und Weben.

Daneben wurde auch der Hochzeitszug dargestellt, wobei anfangs der Wagen mit dem Brautpaar im Mittelpunkt stand. Seit dem 5. Jh. v. Chr. kommen andere Themen aus dem Hochzeitszug auf, z. B. die Loutrophoros, ein Gefäß für das Wasser des Hochzeitsbades, das der rituellen Reinigung der Brautleute diente. Oder man zeigt die Vorbereitung des Hochzeitsbettes. Der Hochzeitszug selbst wird im 5. Jh. nur noch selten dargestellt.

Weitere Themen aus dem realen Leben, die auf rotfigurigen Vasen dargestellt werden, sind Szenen aus Handwerk (Schmiedehandwerk, Töpfer, Erzgießerei usw.) und Landwirtschaft. Diese sind wertvolle Quellen für die Erforschung und Rekonstruktion von Leben und Arbeit niedrigerer Gesellschaftsschichten.

(Fortsetzung folgt…)

Attisch-rotfigurige Malerei (Teil 10)

Ein Themenbereich, der besonders häufig auf rotfigurigen Vasen in Museen zu sehen ist, ist das Gelage (Symposion) mit all seinen Facetten. Während bei Homer die Mahlzeiten noch im Sitzen eingenommen wurde, übernahm man seit dem Ende des 7. Jh. v. Chr. die orientalische Sitte des Lagerns auf einer Kline. Das früheste Beispiel aus Griechenland stammt aus dem Ende des 7. Jh.: die Geneleos-Gruppe aus Samos. Auch in Heiligtümern usw. gab es öffentliche Speisungen (z. B. in der Kultstätte der Artemis in Brauron an der Ostküste Attikas), die nun ebenfalls im Liegen stattfanden.

Gelage gehörten zu den wichtigsten Ausprägungen der aristokratischen Lebensform in archaischer Zeit. Mit der Einführung des Lagerns ergaben sich auch Änderungen der Sitten. Man trennte nun strikt zwischen Essen und Weintrinken. Es gab besondere Räume mit exzentrisch angelegter Tür. Der Teilnehmerkreis war mit 3 bis 9 Personen immer überschaubar. Nach dem Essen wurden die Tische abgeräumt und es begann das Trinkgelage. Man bestimmte einen Leiter des Symposions, das nicht nur dem Vergnügen galt. Es war ein Ort für Diskussionen, Spiele, Rätsel und Gedichte. Beliebt war z. B. das Geschicklichkeitsspiel Kottabos, bei dem es darum ging, auf dem Sofa liegend, die letzten Tropfen Wein aus einer Trinkschale nach einer anderen Schale so zu schleudern, dass nichts vergossen wurde. Was logischerweise mit zunehmendem Alkoholgenuss schwieriger wurde.

Gleichzeitig gehörte das Symposion zum Kult des Dionysos, denn Wein galt als Geschenk dieses Gottes. Übrigens mischte man Wein in der Antike mit Wasser, da er sonst zu dickflüssig war. Der Krater, das typische Mischgefäß, stand in der Mitte – zusammen mit weitere Krateren für Zeus, Heroen usw. Die Darstellungen zeigen auch die „Nebenwirkungen“ des Weingenusses, z. B. exzessive Vergnügungen wie der Zug der Betrunkenen durch die Stadt, aber auch sich übergebende Symposion-Teilnehmer.

Und vor allem durfte auch das sexuelle Vergnügen nicht zu kurz kommen. Ehefrauen durften allerdings nicht teilnehmen. Zugelassen waren nur Hetären und Knaben. Hetären waren weibliche Prostituierte, die im Gegensatz zu normalen Prostituierten sozial anerkannt waren. Sie waren gebildet, betrieben gewerbsmäßig Musik, beherrschten die Kunst des Tanzes und des Gesangs.

Die Teilnahme von Knaben am bringt uns zur sozialen Institution des Päderasmus in Athen, der Knabenliebe. Die Knaben wurden von älteren Männern in gesellschaftliche Normen und Gebräuche eingeführt. Seit der 2. Hälfte des 6. Jh. bzw. dem Beginn des 5. Jh. sind entsprechende Darstellungen stark in der Vasenmalerei repräsentiert. Diese homoerotischen Beziehungen unterlagen allerdings strengen Regeln. Sie waren immer einseitig, wobei der Ältere der Aktive war. Der Jüngere durfte diese Liebe nicht erwidern und die Beziehung war nur erlaubt, bis der Jüngere in die Welt der Erwachsenen aufgenommen worden war. Denn homoerotische Beziehungen zwischen zwei Erwachsenen galten als anstößig.

(Fortsetzung folgt…)

Attisch-rotfigurige Malerei (Teil 9)

Ein Bereich der griechischen Gesellschaft, der seit der Frühzeit eine große Bedeutung hatte, ist die Athletik. Das sportliche Training galt zum einen als Vorbereitung auf den Krieg. Zum anderen zeigt sich hier der agonale Charakter der griechischen Gesellschaft besonders gut, d. h. ihre Vorliebe für Wettkämpfe. So gab es schon früh Wagen- und Pferderennen (ohne Steigbügel und Sattel). Der Sieger war dabei übrigens nicht der Wagenlenker oder der Reiter, sondern der Besitzer der Pferde. Daneben maß man sich in Wettrennen, Waffenläufen, Speerwurf, Diskuswurf, Weitsprung, Boxen, Ringen und dem Pankration, einer Mischung aus Boxen und Ringen.

Neben diesen Wettkämpfen finden wir auf griechischen Vasen Darstellungen des Gymnasion, in dem die vornehme griechische Jugend trainierte. Der durchtrainierte und „schöne“ Männerkörper galt als gesellschaftliches Vorbild. In der Großplastik spiegelt sich dies in den Kouroi als Grabstatuen wider.

Seit etwa 440 v. Chr. gingen die Athletendarstellungen allerdings stark zurück.

Ein weiteres Privileg der adligen Gesellschaftsschicht war zu allen Zeiten die Jagd, in der man sich idealerweise auch im persönlichen Kampf gegen wilde Tiere beweisen musste. Bei den entsprechenden Darstellungen standen die aristokratischen Elemente im Verlauf der Zeit immer stärker im Vordergrund.

Auf den rotfigurigen Vasen finden wir die Jagd und andere aristokratische Themen bis etwa 480 v. Chr.

 

(Fortsetzung folgt…)

Attisch-rotfigurige Malerei (Teil 8)

Um 500 v. Chr. finden wir erste Darstellungen historisch-politischer Themen in Athen. Dabei handelte es sich jedoch vor allem um große Monumente, wie z. B. die sogenannte Tyrannenmörder-Gruppe. In der Kleinkunst kommen diese Themen dagegen nur sehr selten vor. Erst mit den Perserkriegen finden wir historische Themen auf Gefäßen, den sogenannten Perserkampf-Vasen. Gleichzeitig wird nun auch die Vorgeschichte der persischen Expansion dargestellt. Ein Beispiel ist die „Myson-Amphora“ in Paris: Die Vorderseite zeigt den Tod des Kroisos auf dem Scheiterhaufen. Die Rückseite zeigt den Raub der Amazone Antiope, der als mythischer Prototyp der Perserkämpfe galt.

Nach 480 v. Chr. wurde die Tyrannenmörder-Gruppe, die in den Perserkriegen verloren gegangen war, neu geschaffen. Diese Neuaufstellung findet auch in der Vasenmalerei ihren Niederschlag. Es bleibt jedoch eine Seltenheit, dass fast zeitgenössische Ereignisse auf Vasen dargestellt werden.

Auch Personifikationen abstrakter politischer Begriffe kommen im 5. Jh. v. Chr. auf Vasen auf und vor allem im letzten Viertel des 5. Jh. finden wir zahlreiche Personifikationen, z. B.:

Keine der Figuren wäre ohne die dazugehörigen Namensbeischriften eindeutig identifizierbar. Die Motive sind noch nicht kanonisiert und die Figuren daher austauschbar.

Weitere politische Motive waren die Phylenheroen. Ein Grieche war nicht nur Teil der Bürgerschaft eines Stadtstaates, sondern gehörte auch zu einer Phyle, einem Stamm. Unter Kleisthenes wurde dieses System 508/507 v. Chr. reformiert. Die zehn Phylen Attikas wurden nach bekannten attischen Heroen benannt, die seit der Zeit dieser Reformen auch als Figuren des Mythos dargestellt wurden, auch auf Vasen.

(Fortsetzung folgt…)